Das Märchen vom übereifrigen Monat Mai
Maimärchen – Er ist übermütig, der Monat Mai. Und sehr selbstbewusst, ja, fast ein wenig eitel
“Tirili trala, der Mai ist da, tirili trala, nun bin ich da und bringe dem Land bunte Blüten, Wärme, Sonnenschein und eine Prise Liebe obendrein. Tirili, tralala …”
Singend und trällernd zog der junge Maimonat in den ersten Maitagen durchs Land. Er breitete weit die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umarmen.
“Schön ist das Leben! Oh, wie schön.” Er tänzelte über Wiesen, Parks und Felder, durchwanderte enge Täler, hohe Berge und weite Wälder und rief überallhin seine Botschaft: “Ich, der Mai, bin da! Ich, der Freund der Sonne und bunten Farben, bringe Liebe und Freude für die Natur, für alle Leute.”
Stirnrunzelnd beobachteten seine Monatskollegen die Wanderschaft des Mais durchs Land.
“Warum muss er bloß immer so schamlos übertreiben!”, stöhnte der Juli. “Er weiß genau, dass ich für die Wärme zuständig bin.”
“Am liebsten würde ich ihm einen kalten Hagelschauer übers eitle Haupt schütten”, brummte der Januar.
“Oder eine Nebelfront”, schlug der November griesgrämig vor.
Fast jeder Monat hatte einen anderen Vorschlag, wie man den übermütigen Maikerl ein wenig mäßigen könnte.
“Lasst ihm doch seine Freude”, meinte der alte weise Dezember schließlich. “Möge er seine Jugend genießen und sich am Leben freuen.”
“Und diese Freude soll er den Menschen weitergeben”, warf der September ein.
“Und die Liebe”, kicherte der Februar. “Hört ihr? Die Liebe!”
Ja. Die Liebe. Galt der Mai nicht als Wonnemonat der Liebenden? Na bitte!
Schmachtend beobachteten die Monate das fröhliche Tun des Mais. Doch irgendwann, nach zehn, elf, zwölf Tagen wurde es ihnen dann doch zuviel.
“Er verdreht mir den Menschen zu sehr die Köpfe”, beschwerte sich der August. “Das ist nicht fair.”
“Stimmt”, heulten Juni und Juli auf. “Wie sollen wir als strahlende Sommermonate erscheinen, wenn uns der Mai, dieser Schnösel, alle Trümpfe aus der Hand nimmt?”
“Recht habt ihr”, warfen März und April ein. Sie schmollten ein wenig, weil der Mai ihnen wieder einmal – wie jedes Jahr – die Schau stehlen wollte. “Tut etwas!”
“Okay!!!”, riefen die Herbst und Wintermonate einstimmig und warfen – kling-klong – ein paar Prisen Kälte, Wolken- und Windwetter und ein paar Hände voller Eiskristalle auf das Haupt des Mai hernieder.
Tja, und der Mai schwieg dann für eine Weile. Still und bescheiden setzte er sich in einen blühenden Kastanienbaum und ruhte sich aus. Ein paar Tage nur, die Zeit der Eisheiligen.
© Elke Bräunling
Eine weitere Mai-Geschichte, die Geschichte von der Maifee, findet ihr hier:
Als die Maifee frische Freude brachte
Maiknäblein, Bildquelle © HoliHo/pixabay
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Jeder Monat hat seine eigene Geschichte
Vom strahlenden Monat Januar
Vom fröhlichen Monat Februar
Vom eingebildeten Monat März
Vom närrischen Monat April
Vom übereifrigen Monat Mai
Vom arbeitsamen Monat Juni
Vom trägen Monat Juli
Vom ‘königlichen’ Monat August
Vom zaudernden Monat September
Vom feurigen Monat Oktober
Vom bescheidenen Monat November
Vom festlichen Monat Dezember
Viel Spaß damit!
🙂
Wir hoffen auf einen guten Monat Mai.
Jeanny Friederich-Schmit
Hallo,
die Geschichte lässt sich serh gut in der Arbeit mit Menschen mit Demenz einsetzen. Es bietet sich an am Ende der Geschichte eine biografische Einheit zu dem Thema “Eisheilige” anzuschließen.
Herzliche Grüße
Natali Mallek
Hallo Natali,
danke fürs Besuchen und für deine Einschätzung des Textes. Ja, die Geschichte kann einleitend zum Mai und den Eisheiligen sicher gut ankommen. Ich hoffe es zumindest. Würden nach dem Vorlesen Erzählungen und Erinnerungen der Zuhörer an früher folgen, wäre das wundervoll.
Liebe Grüße und viel Erfolg
Elke