Herbstfest bei Onkel Willibald
Erntegeschichte für Kinder – Trauben ernten nennt man auch Weinlese und die kann ganz schön lustig sein
Eines Tages waren Lena und ich bei Onkel Willibald eingeladen. Zum Herbsten.
„Herbsten?“, hatte Lena gefragt. „Was ist das? Wieder so eine komische Onkel-Willibald-Idee?“
„Keine Ahnung“, meinte ich. „Vielleicht ist es ein Fest.“
Lena war begeistert. „Ein Fest“, rief sie. „Das ist gut.“
Und wir freuten uns auf Onkel Willibalds Herbstfest.
Am nächsten Morgen schmiss uns Papa schon früh aus dem Bett. Es war noch dunkel draußen, und das Aufstehen fiel uns schwer.
„Ein komisches Fest“, schimpfte Lena. „Fängt das so früh an?“
Ich wunderte mich auch. Papa hatte uns nämlich alte Jeans, dicke Pullis und Gummistiefel zum Anziehen bereit gelegt. Und die ollen Garten-Anoraks sollten wir auch mitnehmen. Also, festliche Klamotten waren das ja nicht! Misstrauisch sahen wir Papa an, doch der grinste.
„Lasst euch überraschen“, sagte er nur. Und das taten wir dann auch.
Verschlafen hockten wir im Auto und starrten in die dämmrige Nebellandschaft hinaus. Kalt sah es aus und nass. So richtig herbstungemütlich. Onkel Willibalds Fest würde doch nicht im Freien stattfinden? Ich überlegte hin und her, doch als wir bei Onkel Willibald eintrafen, hatte ich noch immer keine Idee, was für ein Fest dieses ´Herbsten´ sein könnte.
Bei Onkel Willibald ging es hoch her, obwohl es noch so früh am Morgen war. Viele Leute tummelten sich auf dem Hof: Männer, Frauen und Kinder. Sie trugen alte Jacken und Hosen, Kopftücher oder Mützen und Gummistiefel und in den Händen hielten sie Eimer. Alle waren sie sehr fröhlich. Waren die denn nicht müde? Ja, und froren sie nicht? Zitternd drückten wir uns an Papa. Das sollte ein Fest sein?
„Ha-ha-hat das Herbsten-Fest schon angefangen?“, fragte Lena, und ich jammerte: „Mir ist so kalt!“
Papa aber lachte uns aus. „Ihr Stadthasen“, sagte er. „Ich dachte, ihr mögt das Landleben kennen lernen.“
„Aber nicht so früh“, murmelte Lena.
„Und nicht so kalt“, fügte ich hinzu und wäre am liebsten wieder ins Auto eingestiegen, doch da kam Onkel Willibald auf uns zu.
„Schön, dass ihr gekommen seid“, rief er und nahm uns in seine breiten Onkel-Willibald-Arme. „Freut ihr euch aufs Herbsten?“
Wir nickten zaghaft, und – schwupp – hob uns Onkel Willibald hoch und setzte uns auf einen Erntewagen, auf dem große Plastikwannen standen.
Da saßen wir nun zwischen diesen Dingern, und ehe wir protestieren konnten, fuhr der Traktor mit unserem Erntewagen über den Hof. Wie das holperte! Und wo war Papa? Er würde uns doch nicht alleine lassen? Ängstlich sahen wir uns um. Da entdeckte ich ihn. Er saß neben Onkel Willibald auf dem Traktor und winkte uns zu. Eigentlich wollte ich ‘Anhalten’ und ‘Ich-will-hier-runter’ rufen, doch da tauchten plötzlich zwei rot bemützte Köpfe auf der anderen Seite des Wagens auf.
„Ih, Mädchen“, sagte der eine Kopf, und der andere begrüßte uns mit einem verächtlichen „Oh je, zwei Zimperliesen!“
Ich merkte, wie ich wütend wurde. „Blöde Affen!“, brüllte ich los.
Auch Lena schien sich zu ärgern. „Oh je“, rief sie, „das sind ja Rotkopfgartenzwerge!“
Da bekam der eine Rotkopfgartenzwerg ein rotes Wutgesicht, und das sah so lustig aus, dass wir loslachten.
Zuerst blickten uns die beiden Rotköpfe erstaunt an, dann aber mussten sie auch lachen.
„Bei euch geht’s ja fröhlich zu“, rief Papa zu uns herüber.
„Ist ja auch ein Fest“, kicherten wir zurück, und die Rotkopfzwerge, die sich uns als Klaus und Robbi vorgestellt hatten, lachten mit.
Vom Lachen war uns warm geworden, und als unser Wagen die Weinberge erreicht hatte, fingen wir an, uns auf dieses Herbsten, was immer es auch sein mochte, zu freuen.
In den Weinbergen hingen dicke Nebelfetzen. Neugierig blickten wir uns um. Hinter uns ratterten noch zwei Erntewagen, auf denen die Leute aus Onkel Willibalds Hof zwischen Eimer und Kübel gedrängt saßen. Sie lachten und schwatzten, und ihre Stimmen drangen wie Geisterstimmen durch die Nebelsuppe.
„Wohin fahren wir eigentlich“, fragte ich schließlich, und ich dachte an ein Herbstfest mit Würstchenbude, Mohrenköpfen und Festzelt.
„Ist nicht mehr weit“, meinte Klaus und deutete in das Nebelgrau. „Bis zum Grafenwingert da oben.“
„Gibt es da einen echten Grafen?“, fragte Lena, und sie hatte dabei bestimmt ein Grafenfest mit Kerzenlicht, Rüschenkleidern und einem festlich gedeckten Tisch vor Augen.
„Blödsinn“, grummelte Robbi. „Der Wingert liegt am ‘Grafenberg’. Ist doch logisch, oder?“
„Logisch.“ Wir nickten und warteten ab. Unser Wagen holperte langsam bergan, und wir wurden oft heftig hin- und hergerüttelt.
Endlich waren wir am Grafenwingert angekommen. An einer hohen Steinmauer hielt Onkel Willibald an, und Papa hob uns vom Wagen.
„Und nun?“, fragte ich und sah mich nach irgendetwas Festlichem um.
„Jetzt geht’s da hinauf.“ Papa deutete auf den steilen Wingerthang, den man nur über eine schmale Steintreppe betreten konnte.
Bevor wir darauf etwas antworten konnten, hatte uns Onkel Willibald schon Eimer und kleine Scheren in die Hände gedrückt und zeigte auf eine Rebzeile.
„Das ist eure Wingertzeile“, erklärte er Lena, Klaus, Robbi und mir. „Aber aufgepasst. Die Scheren sind sehr scharf. Schneidet euch nicht in die Finger!“
„Fein“, meinte Lena und starrte auf die Schere. „Wir haben eine Wingertzeile. Die gehört jetzt uns. Ist das nicht toll? Aber was fangen wir damit an? Und wozu brauchen wir Eimer und Schere?“
„Quatschkopf“, wieherte Robbi, und auch Papa und Onkel Willibald grinsten.
„Die Wingertzeile gehört doch nicht uns! Wir sollen hier nur die Trauben ernten. Das ist alles.“
„Ach so“, sagte Lena. „Und den Grafen, den gibt es wohl auch nicht?“
Onkel Willibald schüttelte bedauernd den Kopf. „Mit einem Grafen kann ich leider nicht dienen. Aber nachher gibt es ein schönes Frühstück.“
„Auch nicht schlecht“, murmelte Lena und kletterte zu unserer Wingertzeile hinauf. Wir folgten ihr und begannen, die Trauben von den Weinstöcken zu schneiden.
„Wir müssen uns beeilen“, erklärte Robbi. „Wer als erster seine Zeile geerntet hat, gewinnt einen Preis.“
„Das ist aber unfair“, meinte Lena. „Die Erwachsenen sind bestimmt viel schneller.“
„Aber wir sind zu viert!“
Das stimmte. Lena begann sich schon auf den Preis zu freuen, den wir gewinnen würden. Auch uns hatte der Ehrgeiz gepackt, und wir beeilten uns.
Das Traubenernten machte Spaß. Schnell waren unsere Eimer gefüllt, und wir riefen: „Trauben! Heyhey!“ Schon kam einer der Hottenträger und schüttete die Trauben aus unseren Eimern in die große Hotte, die er wie einen Rucksack auf dem Rücken trug. Weil wir so schnell waren, riefen wir oft „Trauben!“ und „Heyhey!“, und die Hottenträger wunderten sich ganz schön. „Ihr seid aber schnell!“ sagte einer.
„Wir wollen ja auch den ersten Preis gewinnen“, erklärte Lena.
„Hoho“, lachte der Hottenträger, „was wollt ihr denn mit einer Flasche Wein anfangen?“
„Wein?“, fragte Lena entsetzt. „Ich will keinen Wein. Meinen Preis möchte ich haben. Sonst nichts.“
Der Hottenträger aber lachte nur und stieg zum Erntewagen hinunter, wo er die Trauben kopfüber aus der Hotte in eine der großen Wannen schüttete.
Lena aber war nachdenklich geworden. Und langsamer. „Also“, meinte sie schließlich, „wegen einer doofen Flasche Wein brauchen wir uns eigentlich nicht so zu beeilen. Die Finger tun mir weh, und müde bin ich auch.“
Ich nickte. Meine Hände schmerzten auch von der ungewohnten Arbeit. Außerdem waren sie kalt und klebrig vom Saft der Trauben. Prüfend blickte ich hangaufwärts. „Ist es noch weit?“
„Es geht“, meinte Klaus. „Die Hälfte haben wir bestimmt geschafft.“
„Erst die Hälfte?“, rief Lena entsetzt. „Und das alles wegen einer Flasche Wein?“ Sie setzte sich auf den Boden. „Also, ich habe keine Lust mehr.“
„Ich auch nicht“, stimmte ich zu und wollte auch streiken.
„Ihr seid ja doch Zimperliesen!“, sagte Robbi enttäuscht.
Zimperliese? Nein, eine Zimperliese wollte ich nicht sein. „Los“, sagte ich zu Lena und zog sie vom Boden hoch. „Wir werden diesen blöden Preis gewinnen.“
„Jawohl“, rief Lena. „Von wegen Zimperliesen.”
Na ja, so einfach war es dann doch nicht. Wir mühten uns sehr ab. Trotzdem kamen unsere ‘Verfolger’ immer näher.
„Das schaffen wir nie.“ Meine Beine fühlten sich schwer an.
„Ihr seid aber fleißig“, sagte da auf einmal eine Stimme. Es war die Onkel-Willibald-Stimme, und sie klang sehr lieb. „Ihr wollt wohl als erste oben sein, hm?“
Wir nickten müde, und Onkel Willibald meinte: „Da habt ihr euch aber viel vorgenommen.“ Er nahm seine Schere und erntete eilig Traube um Traube von unseren Rebstöcken. Jetzt füllten sich unsere Eimer wieder schnell. „Ein bisschen schummeln“, grinste er, „ist manchmal erlaubt, oder?“
„Und wie!“, rief Lena und schnitt eine Traube ab. „Schon wieder eine und noch eine und noch eine …, oh ja, wir werden es schaffen!“
„Ja“, riefen wir. Die Müdigkeit war vergessen. Wir beeilten uns und füllten einen Eimer nach dem anderen. Wir waren so beschäftigt, dass wir nicht mehr nachsahen, wie weit das Ziel noch entfernt lag. Wir merkten auch nicht, dass es sonnig warm wurde. Nein, wir kämpften uns verbissen von Rebstock zu Rebstock, und auf einmal war keiner mehr da. Verdutzt blickten wir auf. Juchhu, wir hatten es geschafft. Wir waren als erste oben angelangt.
„Juchhu!“, riefen wir. „Wir haben gewonnen. Juchu.“
Erst dann sahen wir den Jeep am Wegrand mit dem Frühstückstisch voller Leckerbissen, die so köstlich dufteten, dass wir alle ersten Preise der Welt vergaßen. Ich merkte, wie hungrig ich war, und wie hungrige Wölfe füllten wir unsere Teller mit diesem köstlichen Herbstfrühstück. Dann machten wir es uns zum Essen am sonnenwarmen Wegrand gemütlich, blickten auf den Weinberg unter uns, und warteten auf die anderen, die nach und nach aus dem Nebel auftauchten.
„Gut, dass wir uns so beeilt haben“, sagte Lena und kaute an einem Leberwurstbrot. „Sonst hätten uns die anderen alles weggefressen.“
„Na ja“, meinte Klaus. „ist doch genug da. Soviel kannst du gar nicht essen.“
„Wetten?“, fragte Lena. Sie holte sich noch ein Käsebrot und eine Erbsensuppe, eine Gurke und eine Bratwurst, Kartoffelsalat und Apfelkuchen und kaute und kaute und kaute. „Wann endlich“, fragte sie auf einmal schmatzend, „beginnt denn nun dieses „Herbsten-Fest?“
Da mussten alle lachen, und Lena war beleidigt. Sie holte sich noch ein Leberwurstbrot, biss herzhaft hinein und meinte: „Dann feiern wir eben nicht. Mir gefällt’s hier auch so sehr gut.“
© Elke Bräunling
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Die Trauben sind reif, Bildquelle © marcelkessler/pixabay