Als wir die Weihnachtsfreude fanden
Weihnachtsgeschichte zu Heiligabend – Im Stillen kann man sie finden, die Weihnachtsfreude
Das Weihnachtsfest nahte und Papas Miene wurde immer grimmiger.
„Warum guckst du so böse, Papa?“, fragte die kleine Bibi. „Freust du dich nicht, dass bald das Christkind kommt?“
„Und der Weihnachtsmann“, rief ihr älterer Bruder Benjamin.
„Und Papa Noel“, sagte Onkel Léon.
„Vergesst Jul-Tomte nicht“, warf Oma, die als Kind erst in Schweden und später in Italien gelebt hatte, ein. „Und natürlich die alte Hexe Befana.“
„Und Väterchen Frost“, knurrte Opa. „In meiner russischen Heimat wurden wir von Väterchen Frost beschert.“
Mama grinste. „Und ich warte auf ein liebes Weihnachtsengelchen.“
„Die alle kommen an Heiligabend?“ Papa blickte in die Runde. Er hatte die Stirn in Falten gelegt, die Mundwinkel bogen sich nach unten, die Augen funkelten. Man sah es ihm an: Seine Laune war am Nullpunkt angelangt.
„Jaaa!“, rief Bibi laut und klatschte in die Hände. „Die kommen alle zum Weihnachtsfest. Sie bringen Geschenke mit. Viele Geschenke. Toll, nicht?“
„Wenn nur bald Heiligabend wäre!“, maulte Benjamin. „Warten ist gemein und langweilig. Am liebsten hätte ich meine Geschenke gleich jetzt.“
„Welche Geschenke?“, fragte Papa. „Die vom Christkind oder vom Weihnachtsmann oder von wem auch sonst?“
„Alle!“, krähte Bibi. „Alle Geschenke. Ist doch klar.“
Und Benjamin nickte. Dann sah er weg. Er wusste längst, wie es wirklich war mit den Geschenken und den Gabenbringern und von Papas Abneigung gegen den ganzen Weihnachtsrummel. Aber das wollte Benjamin nun gerade nicht wissen. Nicht heute. Es war schließlich bald Weihnachten und Papa konnte manchmal ein richtiger Weihnachtsmuffel sein.
„Irgendwie“, sagte Papa da auch schon, „mag ich euer Weihnachten nicht. Es ist nicht zum Freuen. Schon lange mag ich es nicht mehr leiden.“
Mehr sagte er nicht und Mama, Onkel Léon, Oma, Opa, Benjamin und auch Bibi, die ihr Plappermäulchen nie lange halten konnte, schwiegen. Keiner wusste, was er dazu sagen sollte.
Und keiner konnte Papas Worte vergessen.
Die nahmen sie ein paar Tage später auch mit zum Heiligabend-Nachmittagsspaziergang. Der führte aber nicht wie sonst in den Stadtpark.
„Ich möchte euch einen ganz besonderen Ort zeigen“, sagte Papa. „Zieht eure Wanderschuhe an!“
Wanderschuhe am Heiligen Abend? Alle wunderten sich, doch keiner wagte zu fragen oder gar zu meckern.
Es meckerte auch keiner, als Papa nach kurzer Autofahrt auf einem einsamen Waldparkplatz parkte. Der Weg, den er einschlug, führte oberhalb der Weinberge am Waldrand entlang bergan. Er war steil, doch an dessen Ende strahlte ihnen von weitem ein kleines Licht entgegen.
„Richtig weihnachtlich sieht das aus!“, sagte Mama. „Es fühlt sich gut an, den Berg hinauf zu steigen, dem Licht entgegen.“
„Wie friedlich und still es hier ist!“, freute sich Oma.
Und Opa meinte leise: „Hier draußen ist man Weihnachten viel näher, findet ihr nicht auch?“
„Gehen wir das Weihnachtslicht besuchen?“, fragte Bibi.
Benjamin äugte aufgeregt zum Himmel hinauf. „Vielleicht sehen wir den Stern von Bethlehem? Wo doch Weihnachten ist?“
„Oder das kleine Weihnachtskind?“, flüsterte Onkel Léon.
Jeder hatte seine eigenen Gedanken, als sie dem Weg, der zu dem Licht führte, folgten.
Endlich hatten sie das Weinbergkapellchen mit dem Weihnachtslicht erreicht. Es war still hier. Stumm betraten sie den Raum, der vom Licht vieler Kerzen erhellt war. Auf dem kleinen Altar stand eine alte Krippe. Ein Stall mit dem Jesuskind, Maria und Josef, mit Ochs und Esel und einem Engel. Schlicht und schön.
„Weihnachten“, flüsterte Papa. „Das ist mein Weihnachten.“
Weihnachten.
Papa hatte recht. Das war Weihnachten. Dazu brauchte es keine weiteren Worte. Die Stille, die herrschte, war zu schön. Man sah sie ja auch in den Gesichtern, die Weihnachtsfreude.
© Elke Bräunling
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Weihnachtsstille, Bildquelle © Innviertlerin/pixabay