Bleib noch ein bisschen, Sommer
Spätsommergeschichte für Groß und Klein – Der Sommer verabschiedet sich langsam
„Haltet ihn fest! Hört her und haltet ihn um Himmels Willen fest!“
Die Stimme der Frau gellte durch den Park. Laut, aufgeregt, ein bisschen panisch fast.
Festhalten? Wen? War ein Dieb auf der Flucht? Ein Überfall hier an diesem friedlichen, sonnigen Tag? Was war passiert?
Verwundert und ein bisschen aufgeregt starrten die Parkbesucher in alle Richtungen.
Wen sollten sie festhalten? Die Kinder, die beim Denkmal einem Ball hinterher jagten oder den jungen Mann mit dem Kinderwagen? Die beiden Mädchen mit den schrillen Tatoos auf Armen und Beinen, den Pizzaboten auf dem Fahrrad, die drei Frauen, die immer wieder laut auflachten, den ernst blickenden Mann mit den großen Kopfhörern, die Rentnergruppe oder das auffällige Ehepaar dort drüben, das in einem fort miteinander stritt?
Und da! Schimmerte es nicht hellrot hinter den Hartriegelsträuchern? Versteckte sich da jemand oder waren es nur Blätter, die sich schon ein bisschen herbstlich bunt verfärbt hatten? Oder dort hinter dem Dahlienbeet, das mitten auf der hinteren Wiese seinen Platz hatte. Von weitem schon konnte man es mit seinen kräftigen, satten Farben erblicken. Raschelte es dort nicht auf einmal sehr verdächtig?
Nein, halt, in der Lindenallee hatte sich etwas verändert. Eine tiefe Stille herrschte dort. Das war ungewohnt, unheimlich fast. Es war, als hielten die Vögel, die dort ihre Nester hatten, den Atem an. Warum sangen sie nicht mehr? Waren sie schon so früh aufgebrochen gen Süden, wo mehr Wärme auf sie wartete?
Und da bei den Kastanienbäumen. Dicke Früchte plumpsten dort vereinzelt zu Boden und überall raschelte und knisterte es. Verdächtig war das! Sehr verdächtig.
Die Menschen im Park hielten den Atem an. Was war passiert und was würde nun auf sie zukommen?
„Haltet den Sommer fest! Die Zeit rast!“, tönte die Stimme wieder, dieses Mal vom Rosenrondell her, wo die letzten Rosen die Sträucher mit bunten Blütentupfen schmückten. „Er ist so schön, so warm, so unwiderstehlich und fröhlich. Er ist es, der die Tage liebenswert macht und bunt. Aber nun gleitet er uns aus den Händen. Seht ihr es nicht?“
Der Sommer?
Die Parkbesucher atmeten auf. So etwas Verrücktes aber auch! Wie konnte man den Sommer festhalten? Sie sahen einander an, einige schüttelten die Köpfe oder verzogen die Mienen, andere nickten und lächelten. Ja, man sollte sie noch ein bisschen festhalten können, diese Jahreszeit, die in den Herzen vieler die schönste im Jahr war.
Aber sollte man nicht dem, was nun kam, ebenfalls eine Chance geben? Jeder Tag konnte ein guter Tag sein. Zu jeder Zeit im Jahr.
© Elke Bräunling
Wehmut, Bildquelle © Pezibear/pixabay